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Channel: bla und blubber – ryuus Hort
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Leistungsdenken. Und was ich gerade darüber lerne.

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Ich habe ja so eine ganz komische Arbeitsethik. Deren grundlegenede Maxime lässt sich beschreiben mit „Egal, wie sehr du dich reinhängst, es ist nie genug!“ und „was du schon gemacht hast, zählt nicht, solange da noch was auf der ToDo-Liste steht“, vor allem aber mit „Leistung = Wert“.

Fußboden, auf dem Aktenmappen herumliegen

Ich glaube, dieses Leistungsdenken begleitet mich schon sehr, sehr lange. Es hat sehr viel zu tun mit dem, was gesellschaftlich so als „Arbeit“ anerkannt wird. Arbeit hat unlustbesetzt zu sein. Arbeit hat ein bestimmtes Aussehen – mit meiner Gitarre dazusitzen und zu üben, kann laut meinen komischen internalisierten Regeln genauso wenig Arbeit sein wie ein Buch über gutes Schreiben zu lesen. Und doch will ich beides, das Musikmachen und das Schreiben, ja auch professionell machen (bei Letzterem entwickelt sich das gerade recht gut und beginnt sogar ein wenig Gewinn abzuwerfen). Bei Hausarbeit ist es noch perfider: sie muss gemacht werden (bzw. die Konsequenz des Nicht-Erledigens ist, dass ich mich nicht wohl fühle oder nix zu futtern habe), sie macht mir meistens keinen Spass (vielleicht in einigen Fällen vom Kochen abgesehen), aber irgendwie ist sie auch – wieder laut den komischen Regeln in meinem Kopf – „keine richtige Arbeit“. Dass mich Hausarbeit teilweise mehr Energie kostet als Erwerbsbezogenes, berücksichtigt mein komisches Regelsystem nicht.

Arbeit ist in diesem komischen Regelsystem um so mehr wert, je mehr Geld sie unmittelbar bringt oder je mehr sie nach dem klassischen Bild von „Arbeit“ aussieht. Denn wenn ich Ablage oder Buchführung oder gar meine Steuern mache, bringt das ja nicht unmittelbar Knete rein, aber es „sieht wie Arbeit aus“. (Lustigerweise ist dieser Verwaltungskram gar nicht mehr so unlustbesetzt, seitdem ich mal in gute Fachliteratur bzw. Kurse investiert habe, um die Sachen zu lernen, die für mich relevant sind; die Angst, was verkehrt zu machen, hat mich früher sehr ausgebremst. Seitdem ich weiß, was ich da tun muss, ist das eine fast entspannende Tätigkeit.)

Manchmal glaube ich, diese perfide Arbeitsethik wurzelt in der Erfahrung als Tochter einer alleinerziehenden, arbeitenden Mutter, die ich ihrerseits als einfach immer am Arbeiten erlebt habe. Manchmal denke ich an meine Großmutter und ihr Selfmadewoman-Leben und ihre starke Identifikation mit ihrer Arbeit – auch ihre Hände habe ich nie stillstehen sehen. Ich denke an die Art, wie ich dazu erzogen wurde, potenzielle Arbeit wahrzunehmen und mich sofort dafür verantwortlich zu fühlen, bis zu dem Punkt, an dem ich meine eigenen Tätigkeiten stehen und liegen ließ, weil gerade irgend etwas Haushaltsbezogenes zu machen war. (Als älteste Tochter fühlte ich mich mitverantwortlich, um „den Laden am Laufen zu halten“; und „der Laden“ drohte gefühlt ständig zu entgleisen.) Irgendwie war in meiner Jugend oft so ein „du musst dich halt mehr anstrengen, dann schaffst du das auch“-Glaube im Raum. „Du musst nur wollen.“ Was für ein bescheuerter Default-Umgang.

Aber dann gab es im Studium auch Zeiten, die ich äußerlich gechillt zubrachte. Dass dieses scheinbare Slacken im Inneren mit heftigsten Schuldgefühlen einher ging – das nimmt die Selbstbeurteilung nicht zur Kenntnis. (Erst recht nicht übrigens, was für eine heftige Arbeit der Umgang mit Marginalisierung bedeutete.) Ich glaube, die nächste „es ist nie genug“-Portion habe ich der Zeit zu verdanken, als ich echte Geldprobleme hatte und gleichzeitig versuchte, mein Studium auf die Reihe zu kriegen. Auch da: es war immer prekär, keine Reserven drin, irgendwie hat es immer geklappt.

Aber um welchen Preis. Disziplin ist irgendwie das Universalwerkzeug, das ich bis vor einiger Zeit hatte. Mich zusammenreißen. Mich noch mehr zusammenreißen. Mich treten, bis ich auch gegen die festesten Tritte abgestumpft bin – die Dauererschöpfung und die bohrenden Schuldgefühle blieben trotzdem. Gegen Ende meines Studiums hatte ich das Gefühl, mich hielte nur noch reine Willenskraft zusammen. Dass ich nach dem Abschluss erstmal kollabierte und drei Monate krank war: Kein Wunder.

Dabei habe ich als ADHSlerin sowieso weniger Selbstkontrolle als neurotypische Menschen. (Davon, dass eine neurotypische Welt sowieso für Menschen mit ADHS ein Extra-Hindernislauf ist, mal ganz abgesehen.) Aber von meinem Neurotyp weiß ich erst seit eineinhalb Jahren, und erst seitdem gelingt es mir hier und da, meine schädlichen Kompensationsstrategien durch einen angemesseneren Umgang zu ersetzen. Ein Beispiel für so einen angemessenen Umgang ist, dass ich gerade lerne, die Grenzen meiner produktiven Zeit zu respektieren und zu einem bestimmten Zeitpunkt zu sagen: „OK, jetzt noch weiterzumachen, bringt keinen Output mehr, der in irgendeiner Relation zum Aufwand steht. Morgen ist auch noch ein Tag“. Das – und das Vertrauen, dass morgen dann tatsächlich ein Tag ist, an dem ich mich wieder an diese Aufgaben ransetze – ist für mich ein riesiger Schritt nach vorn.

Dass es OK ist, wenn ich auch mal Dinge mache, die kein direktes, verwertbares Ergebnis haben, würde ich gern noch mehr würdigen und anerkennen. Es gibt sowas wie Vergnügen. Und der „wenn ich mich nur ein bisschen mehr anstrenge…“-Glaube kann auch mal weg. Aber ich lerne.


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